Sein Ziel: Kunst und Verkündigung verbinden

Für über 100 Kirchen in Deutschland und Europa hat Claus Kilian sakrale Kunst geschaffen. Der Künstler und Diakon ist mittlerweile 92 Jahre alt. Zur Ruhe setzen will er sich nicht.

„Ich mache keinen Plan, ich beginne irgendwo und irgendwie und lasse den Pinsel tanzen“, sagt Claus Kilian über die Entstehung eines Bildes. „Es malt – sage ich und es entsteht etwas ganz Neues. Ich beobachte das Geschehen und beginne es zu ordnen, zu gestalten.“

Was da entsteht, überrascht ihn jedes Mal und gelegentlich nimmt er einen breiten Pinsel und übermalt alles wieder in Weiß. Alles ist für ihn veränderbar. „Nichts ist so beständig wie die Veränderung im Leben“, findet der Diakon.

Sein Leben war bereits in jungen Jahren von Veränderung geprägt. 1928 in Glogau/Schlesien geboren, wurde er mit 16 Jahren kriegsverpflichtet und erlebte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erst russische und dann polnische Kriegsgefangenschaft. Mit 17 Jahren kam er 1946 als Flüchtling in Braunschweig an. „Ein neu geschenktes Leben“, sagt Kilian. Schnell fand er Anschluss in der Jugendgruppe seiner Kirchengemeinde, bald lernte er seine zukünftige Frau Barbara im Chor kennen, mit der er seit 1953 verheiratet ist.

Kreativ begabt, schlug sich der junge Mann zuerst mit Gelegenheitsjobs bei einem Werbegrafiker durch. Um sich ein berufliches Fundament zu schaffen, bewarb er sich an der Kunstgewerbeschule – dem Vorläufer der heutigen Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) – und kam in die Klasse für Gebrauchsgrafiker.

Ein besonderes Erlebnis gab Kilians Kunst eine neue Richtung: Bei einem Besuch in Hildesheim entdeckte er die dunkle, schwere Bernwardsäule auf dem Boden und die riesengroßen Bronzetüren vom ausgebrannten Dom. Um das Jahr 1015 war die zweiflüglige Bronzetür vom Hildesheimer Bischof Bernward in Auftrag gegeben worden. Der junge Künstler sah zum ersten Mal die Bilder und plastischen Gestalten aus der ottonischen Epoche. „Seit diesem Tag bin ich nicht mehr losgekommen von der Kunst im Kirchenraum“, sagt Kilian.

„Wo Worte fehlen, kann das Bild verkünden“

Seitdem sich Kilian 1960 selbstständig gemacht hatte, wirkte er mit seiner sakralen Kunst bundesund europaweit in mehr als 100 Kirchen. Neben dem Bistum Hildesheim war er in der Gestaltung von Kirchenräumen, aber auch von Familienzentren oder Gebetsräumen im Bistum Mainz, im Frankfurter Raum, in Österreich und Finnland tätig. Kilians Werk reicht von Mosaik über Malerei und Glasmalerei bis zur Metallund Textilgestaltung.

„Ich bin der Designer, der Ideengeber, der mit dem Handwerker zusammenarbeitet, ich habe mich nie als Künstler empfunden“, sagt er. Und in erster Linie möchte er mit seiner Kunst das Evangelium visualisieren: „Wo einem die Worte fehlen, kann man es in einem Bild verkünden.“ Sein Anliegen spiegelt sich auch in seinen Motiven wider, die häufig aus der Bibel oder Heiligenlegenden stammen.

Dabei helfen ihm seine umfangreichen Kenntnisse über die zahlreichen Materialien und deren Verarbeitung. Kilians mannigfaltige Entwürfe gingen in Werkstätten von Kunst- und Goldschmieden, Schlossern, Steinmetzen, Glasmalern oder Textilgestaltern. „Für die Raffaelskirche in Garbsen habe ich einen riesigen Gobelin gestaltet. Er hängt vor einer fürchterlichen Betonwand“, berichtet er von dem sechs mal vier Meter großen Kunstwerk. Für die Weberin hatte er die Vorlage gezeichnet. Da das Werkstück während der Arbeit aufgerollt ist, sieht man erst zum Schluss, was daraus geworden ist. „Das war ein ganz großes Erlebnis“, berichtet er sichtlich berührt.

Er schreibt jede Woche eine Predigt

1975 wurde der fünffache Familienvater von Bischof Heinrich-Maria Janssen zum Diakon geweiht. In seinem pastoralen Dienst in der Braunschweiger St.-Aegidien-Gemeinde war er für die Ehe- und Familienseelsorge zuständig. Zeitweise hat er – parallel zu seinem künstlerischen Schaffen – acht Ehepaarkreise gleichzeitig begleitet. „Da sind Beziehungen entstanden und auch zerbrochen. Ich habe Gemeinde erlebt, wie sie lebt und nicht nur, wie sie feiert.“

In den Ruhestand hat sich der Diakon nie wirklich versetzen lassen und ist noch immer aktiv. Seit sechs Jahren schreibt der 92-Jährige jede Woche eine Predigt passend zum Sonntagsevangelium und sendet diese an rund 40 E-Mail-Adressen. Zu seinem Verteiler – er reicht bis Indien – gehören Lektoren, Diakone, Priester und seine Kinder. „Es ist eine wunderbare Arbeit, die ich mit meinen Bildern begleite.“ Wenn er einmal kein Bild in seinem großen Archiv findet, malt oder zeichnet er ein neues Motiv eigens für diese Predigt. Kunst und Verkündigung zu verbinden ist weiterhin sein Ziel. „Ich male jetzt abstrakt, das heißt, oft ist gar nicht zu erkennen, was ich male.“ Wenn jemand nach der Bedeutung fragt, gibt er oft zur Antwort: „Lass dich darauf ein und erkenne, was du darin siehst.“

Sabine Moser