Nächsten Sonntag die selben Lieder!
Seit knapp 50 Jahren spielt Dr. Joachim Piotrowski die Orgel in der Heilig-Geist-Kirche. Dabei hatte er in seinem Leben nur eine einzige Orgelstunde.
Mit elf Jahren kam Joachim Piotrowski zum Orgelspiel. Seit 47 Jahren spielt er mit Freude die Königin der Instrumente ehrenamtlich in der katholischen Kirche Heilig Geist in Lehndorf. Zu seinem 90. Geburtstag kürzlich widmete ihm die Gemeinde einen feierlichen Dankesgottesdienst. Doch freiwillig kam er einst nicht auf die Orgelbank.
„Es war an einem Samstag im Kriegssommer 1940 als der Gemeindepfarrer auf unseren Herborner Gutshof im Dilltal geradelt kam und mir mit seiner jeden Widerspruch ausschließenden Art eröffnete: `Du hast doch seit zwei Jahren Klavierstunde. Morgen spielst du um sieben Uhr die Frühmesse´“, erzählt Piotrowski. Der Organist, der sonst die Frühmesse spielte, war zum Kriegsdienst eingezogen worden. Sogleich radelte der Knabe mit dem Pfarrer zur Kirche und erhielt die erste und einzige Orgelstunde seines Lebens.
„Sonntagfrüh saß ich bereits um halb sieben auf der Orgelbank und probierte immer wieder, ob der Elektromotor es noch tat“, erinnert sich der heute 90-Jährige an jedes Detail. Das Vorspiel klappte einigermaßen, aber als er mit dem ersten Lied bei der Hälfte war, war die Gemeinde bereits fertig mit singen. „Ich bekam Panik, machte den Motor aus, zack die Treppe runter und aufs Fahrrad, nichts wie nach Hause.“ Kaum zu Hause angekommen, rief auch schon der Pfarrer an. Nächsten Sonntag, 7 Uhr, dieselben Lieder war die Ansage. „Ich habe geübt wie ein Weltmeister. Dann ging es stetig ein bisschen aufwärts.“ Mit der Zeit bekam er Freude am Orgelspiel und machte auch weiter, als der Organist nach Kriegsende wiederkehrte.
Nach dem Abitur machte er eine Ausbildung zum Landwirt und studierte anschließend Landwirtschaft. Seine Frau lernte er während der Referendarzeit an einer Schule in Limburg kennen. Bis zur Hochzeit 1959 war er regelmäßig am Wochenende zu Hause und spielte die Kirchenorgel.
Mit seiner Karriere ging es steil bergauf. Er bekam eine sehr gute Stelle bei der Deutschen Gesellschaft für Landendwicklung in Bad Homburg. Anfang 1972 erhielt der promovierte Landwirt eine Berufung als Professor und Institutsleiter an der Bundesanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig, dem heutigen Thünen-Institut. Zeitweise war er auch Präsident der Bundeseinrichtung.
Gleich im Sommer 1972 kam seine Familie nach und bereits seit Herbst spielt der dreifache Vater in Lehndorf die Orgel. Nach der Pensionierung 1994 war er zwei Jahre in Dresden als Landwirtschaftsberater tätig und gab noch bis zu seinem 75. Geburtstag Kurse für tiergerechte Pferdehaltung. Joachim Piotrowski hat fünf Enkelkinder und ist seit 11 Jahren Witwer.
„Er ist eine musikalische Bereicherung für die Kirche. Ich bin so froh, dass wir ihn haben“, sagt der Gemeindepfarrer Pater Dr. Sabukuttan Francis über ihn. Der Geistliche beschreibt den Organisten als humorvoll, sehr wissbegierig und lernfähig: „Die Lieder sucht er selbst aus und hat auch mit neuen Medien keine Berührungsängste.“
Auf der Orgelempore ist der Pensionär mit einer Vorliebe für Bach immer freitags und zusätzlich noch etwa zweimal pro Monat im Einsatz. Er ist stolz darauf, in seiner Zeit in Braunschweig acht junge Leute für dieses Instrument motiviert haben zu können, darunter auch seine Tochter. Insgesamt 2000-mal hat er bisher bei Heiligen Messen, Hochzeiten, auf Taufen und Beerdigungen gespielt – gut die Hälfte davon im Ruhestand. Gelegenheit für Orgelunterricht hatte er in all den Jahren nicht.
Sabine Moser