Friede, Freiheit, Freude

Gerhard Baller aus Braunschweig ist mit ganzem Herzen Karnevalist. Der ehemalige Vizepräsident der Hochschule für Bildende Künste setzt beim Straßenkarneval auch auf kirchliche Themen. Aber mit Respekt.

Es ist ein Glücksfall, dass die Karnevalisten Gerhard Baller Mitte der 1990er Jahre für den Motivwagenbau gewinnen konnten. Bei den kunstvoll gestalteten Wagen im Straßenkarneval greift der Katholik oft Themen rund um den Glauben wie religiöse Toleranz, Reformation oder Maria 2.0 auf. Für den Bau der Wagen ist eine Künstlergruppe aus ehemaligen Studenten zuständig. „Wir bereiten uns jetzt schon auf 2023 vor. Eine Päpstin zieht einen kleinen Papst hinter sich her. Die Wagenseite wird in Regenbogenfarben gestaltet, das geht gar nicht anders nach dem letzten Coming Out zahlreicher Kirchenangehöriger“, sagt Baller. Das Bild des Wagens darf bereits veröffentlicht werden. Denn: „Wir wollen Lust machen auf den Karneval.“

Klar werden in der fünften Jahreszeit Themen humorvoll zugespitzt, für den 71-Jährigen ist das aber nicht nur Jux und Dollerei. Die Frauenfrage liegt ihm sehr am Herzen: „Da war ganz klar, es muss eine Päpstin sein. Wenn schon, denn schon.“

Nächstenliebe und Narrenfreiheit

„Ich bin in der Kirche groß geworden“, sagt Baller. Nach seiner Erstkommunion war er Ministrant und einige Jahre danach noch bei der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) aktiv. Er erinnert sich gerne an die Karnevalsfeiern oder an Wochenenden in der Jugendbildungsstätte auf dem Wohldenberg in Hildesheim. „Einige Wesensmerkmale des Glaubens stecken auch in den Idealen des Karnevals“, findet Baller. Besonders betont er dabei die Nächstenliebe, die sich darin äußert, dass bei all der Narrenfreiheit die Würde der anderen nicht verletzt wird. „Für mich war es ein riesiges Phänomen, wie im Karneval die Gleichheit der Menschen über die Maskerade – sozusagen die Kappe – gepflegt und neu erfahren werden kann.“ Für ihn ist das Fest im Kirchenjahr verankert und nach Aschermittwoch ist alles vorbei. Eine Verschiebung des Umzugs wäre für ihn undenkbar. „Weihnachten wird auch nicht in den Sommer verschoben, nur weil da vielleicht Schneesturm ist, es hat alles seinen Ort und seine Zeit“, ist er überzeugt.

In Braunschweig spielt im Straßenkarneval auch der Teufel eine Rolle. „Schoduvel“ aus dem Mittelhochdeutschen bedeutet Scheuchen des Teufels. „Wir in Braunschweig haben ältere Dokumente über den Karneval als die Kölner“, sagt er nicht ohne Stolz und verweist auf erste Urkunden im Niedersächsischen Staatsarchiv in Wolfenbüttel aus dem Jahr 1293. Köln hingegen könne erst für 1341 entsprechende Urkunden liefern. Baller hat viel für die Narren in der Löwenstadt geleistet. So hat er einen Förderverein gegründet, der es ermöglichte, das Schoduvelzentrum, wie die ehemalige Husarenkaserne jetzt heißt, zu kaufen. „Panzer raus, Karnevalswagen rein, das war die Konversion in Braunschweig“, scherzt er. Im Förderverein war er lange Vorsitzender, bis er Geschäftsführer beim Komitee Braunschweiger Karneval wurde. „Das ist ein Konzern, der im Wesentlichen aus Ehrenamtlichen besteht, außerdem aus drei Profis, das sind die Wagenbaukünstler Konrad Körner, Torsten Koch und Mathias Rosenbusch.“ Das Arbeiten mit Ehrenamtlichen – es sind Hunderte, die allein beim Zug mitarbeiten – sei das Schwierigste überhaupt. „Bei Ehrenamtlichen kann man nur motivieren, die ehrenamtliche Arbeit würdigen und Orden verleihen.“ Und Orden gibt es jedes Jahr, nicht zuletzt, um den Sponsoren Anerkennung zuteilwerden zu lassen.

Beim traditionellen Rosenmontagsgottesdienst hat Baller sein Amt an einen Nachfolger übergeben. Bis Ende Juni hat er noch seinen Geschäftsführerposten. In Zukunft möchte er sich mehr um Haus und Hof und die Familie kümmern, zu der auch fünf Enkelkinder gehören. Doch trotz Abschied von seinen Ämtern brennt Baller weiter für den Karneval. Unter anderem pflegt er internationale Kontakte insbesondere nach Osteuropa. „Der zentraleuropäische Karneval ist nicht der einzige Taktgeber.“ Karneval, sagt der Optimist „steht für Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit und für Frieden und Freude. Gemeinsam empfundene Freude, also Lebensfreude. Und wir schaffen die Anlässe, um diese Freude feiern zu können, zu inszenieren. Dazu gehört auch, dass man ein menschliches Grundbedürfnis nach Rollenwechsel bedient“.

Bitter: in zehn Jahren dreimal abgesagt

Da war es bitter für ihn, dass in seiner zehnjährigen Zeit als Zugmarschall der Schoduvel dreimal abgesagt wurde. Nachdem der Zug wegen Corona 2021 ausfallen musste, wurde der Schoduvel 2022 wegen eines gefälschten Briefes am 2. Januar vorzeitig abgesagt. „Der Schock kam, als mich nachts der Oberbürgermeister informierte, dass er gar keine Absage geschrieben habe.“ Diese Absage musste allerdings coronabedingt bestehen bleiben. Der Zugmarschall haderte aber nicht mit dem Schicksal: Diese Eulenspiegelei der besonderen Art wurde sofort aufgegriffen und der Videoclip „Corona übernimmt“ gedreht. „2022 hätten wir den Zug – unabhängig von Corona – wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine noch am Tag vor dem Zug ausfallen lassen“, sagt er im Rückblick. 2015 hatte der Polizeipräsident den Straßenumzug nur eine Stunde vor dem Start abgesagt. Grund war eine Terrorwarnung mit islamistischem Hintergrund. Im Jahr darauf hieß das Motto „Jetzt erst recht“. „Und da ist es uns gelungen, mit Propst Reinhard Heine aus Braunschweig zusammen den damaligen Hildesheimer Bischof Norbert Trelle dazu zu bewegen, beim Schoduvel auf dem Wagen des Zugmarschalls mitzufahren.“ Ebenso fuhren der evangelische Landesbischof Christoph Meyns sowie Vertreter der Muslime und der jüdischen Gemeinde mit. Der Karnevalsumzug setzte damit ein Zeichen für religiöse Toleranz. „Das war für mich das stärkste Zeichen überhaupt, das wir bisher im Karneval hatten.“