Zwischen Passion und Auferstehung
Interview mit der Künstlerin Lilian Moreno Sánchez
Lilian Moreno Sánchez hat maßgeblich an der Neugestaltung von St. Marien und St. Bernward mitgewirkt. Die chilenische Künstlerin erläutert, was sie inspiriert hat und was sie ausdrücken möchte:
St. Bernward in Ilsede wird durch die von Ihnen gestalteten Fenster im Hauptschiff in ein ganz neues Licht getaucht. Was zeigen die Fensterbilder genau?
Die Konzeption meines Bildprogramms für die Glasarbeit bezieht sich auf zwei zentrale Themen des Christentums: Passion und Auferstehung. Sie bedient sich dabei moderner, weltlicher Motive wie z.B. des Tanzes und der Blumen zu einer zeitgemäßen Darstellung dieser bedeutenden Themen. Die Tanzmotive sollen gleichzeitig die Lebendigkeit, die in der Beziehung zwischen Gott und Mensch immer wieder zu entdecken ist, abbilden. Dies gilt auch für die Blumenmotive, mit denen ich in meiner Kunst seit vielen Jahren arbeite. Die Blumen symbolisieren Gaben, die Gott jedem von uns anvertraut. Nicht zuletzt ist das Geschenk unseres Lebens eine solche Gabe.
Was möchten Sie mit den neuen Kirchenfenstern zu den Themen Passion und Auferstehung ausdrücken?
Grundsätzlich ist meine Arbeit geprägt von der Auseinandersetzung mit den Leiden und Ängsten der menschlichen Existenz. Für die Kirchenfenster der St. Bernward-Kirche in Ilsede zu den Themen Passion und Auferstehung geht es mir auch um die menschliche Existenz, ihre Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit, aber auch darum, die Freude in der Schönheit darzustellen.
In St. Marien in Braunschweig haben Sie ein Textband mit dem Magnifikat entworfen. Was hat Sie dazu inspiriert?
Mein Entwurf der Schriftbänder für die St. Marien Kirche auf dem Kirchenboden bezieht als Symbol auf mein ursprüngliches Konzept der Innengestaltung der St. Marien Kirche: „Glanz edler Einfachheit". Die ursprüngliche Raumkonzeption für die St. Marien Kirche in Braunschweig strebte eine weibliche Ästhetik in Bezug auf Geborgenheit, Beheimatung und Wärme an. Die Architektur im Rauminneren sollte (jetzt die linienhaften Schriftzeichnung auf dem Kirchenboden) die Form des Bauchs bzw. der Gebärmutter einer Frau abbilden. Sie sollte an die erste Transzendenzerfahrung des pränatalen Kindes, nämlich der Erfahrung, in der Gebärmutter geborgen, geschützt und genährt worden zu sein.
Was bedeutet für Sie das Magnifikat – der Lobgesang Mariens?
Die Auswahl des Texts Magnifikat für St.-Marien-Kirche in Braunschweig war eine Idee gemeinsam mit Herrn Pfarrer Mnich. Mein Entwurf der Schrift des Magnifikats bezieht sich auf das Marienbild. Maria ist für alle Menschen da, die aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus kommen, sich im Gebet an sie wenden und Kerzen anzünden. Mein Entwurf soll in seiner Symbolik den Menschen ermöglichen, auf ihr inneres Anliegen zu hören, dieses zu artikulieren und es nach außen zu bringen, indem sie sich der Muttergottes zuwenden. Mit dieser Zuwendung richten wir uns auf Jesus aus.
Der Tabernakel wurde in die Kapelle versetzt, hier ist der Boden mit einem kleinformatigeren Textband noch nicht ganz fertig. Was wird unterhalb des Tabernakels stehen?
Verse aus Johannes 6. Unter anderem: Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.
Auch der neue Altar, Ambo und das Taufbecken in St. Marien haben Sie neu entworfen. Weshalb sind überall Falten zu sehen?
Gott, der Mensch geworden ist durch die Jungfrau Maria, wurde in ein Laken eingewickelt und zu Grabe getragen. Die eingearbeiteten Falten symbolisieren die seelische Anspannung, die jeder Mensch immer wieder tragen muss. Aus einer solchen inneren Bewegtheit, in der jeder und jede seine und ihre eigene Existenz oft mit großer Verzweiflung oder Ängsten schmerzlich spürt, wenden sich die Menschen an Maria als die Muttergottes. Sowohl der glatte Stoff des Lakens als auch die Falten werden von eingenähten Goldfäden regelrecht durchkreuzt, aber auch verbunden. Die Goldschrift auf dem Kirchenboden sehe ich als Goldfäden, die einen Heilungsprozess symbolisieren, den Maria und Jesus begleiten. Durch sie finden wir Frieden inmitten der Verwirrung, Trost im Leiden und die Gegenwart Gottes.
Etwa zeitgleich sind ganz unterschiedliche Kunstwerke von Ihnen fertig geworden. Sehen Sie Parallelen?
Im Bildmotive der Auferstehung und Passion für die Fenster der St. Bernward Kirche in Ilsede verkörpern die Tänzerinnen, wie auch Maria, das religiöse Bildprogramm der Liebe und des Trostes, die Bereitschaft zu leiden, die Suche nach Erlösung und Regeneration. Auch die Tänzerinnen, die auf dem Bildmotiv „Auferstehung“ auf den Altar in der St. Bernward Kirche Ilsede ausgerichtet sind, begleiten die Gläubigen auf dem Weg zur Transzendenz.
Fragen: Sabine Moser.
Weitere Infos zu den Fenstern in St. Bernward
PASSION - Die Sehnsucht nach Hoffnung
Die Blumenmuster auf Stoff eines mit einem Kreuz bestickten Paraments (Messgewand etwa von 1900) auf dem Bildmotiv Passion sollen an den heiligen Rock Jesu erinnern, der auch im Grundriss der Kirche St. Bernward zu erkennen ist. Zusammen mit den Röntgenaufnahmen von Menschen, die von deren Krankheit und Schmerzen erzählen, die aber auch an den geschundenen Leib Christi erinnern. Es entsteht ein Kontrast: Einerseits wird die Tragik der menschlichen Existenz, Leiden und Tod offenbar, andererseits wird auf die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz durch die Schönheit verweisen. Der Grundfarbe Violett der Paramente als einer Trauerfarbe korrespondiert mit dem Rotbraun des Hintergrunds der Tänzer auf dem Bildmotiv. Die Szenen der zeitgenössischen Choreographie wirken wie ein spätgotisches Tafelbild. Sie zeigen die Menschenmenge auf dem Kalvarienberg. Auf den Eingangsbereich der Kirche ausgerichtet, begleiten sie die Gläubigen auf dem Weg der Hoffnung. Die Texte stammen aus meinem Kunstprojekt Kreuzweg LEMA und wurden von der chilenischen Schriftstellerin Diamela Eltit verfasst.
AUFERSTEHUNG - Die Sehnsucht nach Transzendenz
Das mit einem gelben Kreuz bestickte Parament als Licht und Erleuchtung wirkt als Symbol des Heilungsprozesses der Seele, der es den Gläubigen ermöglicht, Gott und sich selbst wieder zu finden. Die Tänzerinnen: Die Frauen, wie auch Maria, verkörpern in meiner Kunst als Prototypen des religiösen Bildprogramms Liebe und Trost, die Bereitschaft zu leiden und die Suche nach Erlösung und Regeneration. Die Tänzerinnen, die auf dem Bildmotiv „Auferstehung“ auf den Altar ausgerichtet sind, begleiten die Gläubigen auf dem Weg der Transzendenz.
Texte auf den Fenstern
Passion: Oscilo entre el miedo y la furia / Ich schwanke zwischen Angst und Wut.
Auferstehung: Tan inciertos, nuestros órganos / So verletzlich, unsere Organe.